Berlin. 2024 vertraten „Lord Of The Lost“ Deutschland beim ESC – und wurden Letzter. Sänger Chris Harms spricht im Interview über die Erfahrung.

  • Deutsche Teilnehmer haben es beim Eurovision Song Contest nicht leicht
  • 2023 musste diese Erfahrung die Band „Lord Of The Lost“ machen
  • Sänger Chris Harms verrät, warum der ESC für ihn dennoch ein Erfolg war – und welches Detail ihn genervt hat

Letztes Jahr wurde die Dark-Rock-Band Lord Of The Lost als deutscher Teilnehmer am Eurovision Song Contest einem Millionenpublikum bekannt. Dass die Hamburger dann Letzter wurden, war nicht besonders tragisch, wie Bandgründer und SängerChris Harms im Interview betont. Gerade weil die Band mit diesem Auftritt so viel Positives verbindet, will sie eine Tradition starten, die es so in der Geschichte des Song Contests wohl noch nicht gegeben hat.

Sie sind gerade mit Lord Of The Lost auf Ihrer „15 Jahre Jubiläumstour“. Wie haben Sie es eigentlich geschafft, in einer so schwierigen Branche so lange durchzuhalten? Mit purer Hartnäckigkeit?

Chris Harms: Auch mit Hartnäckigkeit, aber das alleine reicht nicht. Man muss liefern. Kontinuität, harte Arbeit und Leidenschaft sind essenziell. Wir lieben, was wir tun! Und wir treffen keine Entscheidung aus monetären Gründen, nur weil wir irgendwo eine Marktlücke sehen. Wir machen nur das, was uns unser Herz sagt und was wir wollen. So müssen wir uns nie für das, was wir tun, schämen.

„Lord Of The Lost“-Sänger: Mit dieser Herausforderung hatte er zu kämpfen

Was war denn in den Anfangsjahren am schwierigsten?

Harms: Normalerweise denkt man, das wären die Touren, wo man im Winter schon mal im Auto schlafen muss, weil kein Geld fürs Hotel da ist. Die wahre Herausforderung ist es aber ganz generell, neben der Musik noch einen Beruf zu machen, weil man Geld verdienen muss. Man hat also für lange Zeit eigentlich zwei Vollzeitjobs, nur dass einer davon nicht bezahlt ist. Im Gegenteil, man steckt sogar noch alles Geld rein, das man hat. Erst seit drei, vier Jahren können wir von der Musik leben.

Chris Harms von der Band Lord Of The Lost: Für seinen Job braucht er Hartnäckigkeit, Leidenschaft und Liebe.
Chris Harms von der Band Lord Of The Lost: Für seinen Job braucht er Hartnäckigkeit, Leidenschaft und Liebe. © picture alliance/dpa | Peter Kneffel

Das war doch während der Pandemie, in der keine Band touren konnte. Wie haben Sie das geschafft?

Harms: Wir sind nicht die beste Band der Welt, die gibt es ja bekanntlich schon, und zwar die Ärzte. Aber wir sind nun mal die Band mit den besten Fans der Welt. Die haben während der Pandemie so viele Merchandise-Artikel von uns gekauft, dass wir das Sortiment sogar noch ausgebaut haben.

Außerdem haben wir ein paar Livestream-Konzerte gegeben, zu denen man Tickets kaufen konnte. Wenn die ganze Welt online zu deinem Konzert gehen kann, dann erreichst du mehr als in einer Veranstaltungshalle. Die Pandemie hat uns nicht geschadet, weil wir aktiv nach Wegen gesucht haben, um uns und unsere Fans glücklich zu machen, anstatt mitleidig und untätig die Hand aufzuhalten. Wir haben auch null monetäre Förderungen beantragt.

Chris Harms: „Das war der ultimative Ritterschlag“

Aber Merchandise-Artikel allein machen noch nicht den Erfolg einer Band aus.

Harms: Nein, aber sie sind ein Spiegel des Erfolgs. Der ultimative Ritterschlag waren die beiden Touren mit Iron Maiden. Dafür kannst du dich nicht bewerben, sondern du wirst von Maiden angefragt und gebucht. Und als die Anfrage für die zweite Tour kam, war das natürlich noch viel krasser, als das erste Mal. Denn das bedeutet, dass die erste Tour offenkundig ganz gut war.

Wie wird man einfach so von Iron Maiden gefragt?

Harms: Steve Harris, Bassist und Gründer der Band, hat uns auf Youtube zufällig entdeckt und landete so bei unserem 2018er-Album „Thornstar“. Daraufhin wurde dann unser Booking-Agent vom Maiden-Management kontaktiert. Als er uns das erzählt hat, dachte ich, da müssen irgendwo versteckte Kameras sein. Es war einfach unglaublich. Allerdings mussten wir dann lange darauf hinfiebern. Denn wir wurden zunächst für 2020 gebucht, und das wurde wegen der Pandemie zwei Mal verschoben. Danach standen wir in über 20 Ländern als Vorband auf der Bühne.

Die Band Lord Of The Lost: Chris Harms, Pi, Klaas Helmecke und Gerrit Heinemann (v. l.).
Die Band Lord Of The Lost: Chris Harms, Pi, Klaas Helmecke und Gerrit Heinemann (v. l.). © picture alliance/dpa | Axel Heimken

Die größte Plattform bekamen Sie freilich 2023 beim Eurovision Song Contest ...

Harms: Seit ich ein kleines Kind war, stand für mich fest, dass ich am ESC teilnehmen möchte. Das war eines der großen Fernseh-Events, zu dem die ganze Familie zusammenkam. Und ich hatte schon immer ein Faible für die große Show. Wir haben uns mit Lord Of The Lost bereits viele Jahre beworben, so auch 2022, aber in dem Jahr war der NDR sehr auf Pop fokussiert.

2023 war klar, dass sich der Sender wieder genremäßig öffnen wollte. Wir hatten gerade den Song „Blood & Glitter“. Der war wie gemacht für die ganz große Show, und wir dachten, der passt ideal zum ESC. Allerdings hatte ich eigentlich erwartet, dass wir bereits im Vorausscheid rausfliegen und Ikke Hüftgold das Rennen macht.

Harms: „Wir wussten von vorneherein, dass wir schlechte Chancen hatten“

Beim Song Contest allerdings gab es für Sie kein Glitter, stattdessen floss sozusagen Blut, weil Sie den letzten Platz belegten. Wie sehen Sie das heute?

Harms: Ich sehe heute alles genauso positiv wie damals. Wir wussten von vornherein, dass wir schlechte Chancen hatten. Statistisch gesehen schneidet nun einmal Deutschland neben Norwegen mit am schlechtesten ab. Aber ich will mich in diesem Thema gar nicht verlieren, denn das klingt so, als würden wir Ausreden suchen, warum wir Letzte wurden.

Es ist, wie es ist. Für uns war es kein Problem – und ist es kein Problem. Wir würden jederzeit wieder mitmachen, selbst wenn wir bereits vorher wüssten, dass wir Letzter werden. Der ESC hat uns nicht geschadet, im Gegenteil.

Die Band Lord Of The Lost: Beim Vorentscheid begeisterten sie noch die Fans. Beim ESC-Finale ging es für die Musiker rein platztechnisch ganz nach unten.
Die Band Lord Of The Lost: Beim Vorentscheid begeisterten sie noch die Fans. Beim ESC-Finale ging es für die Musiker rein platztechnisch ganz nach unten. © picture alliance | ABB

Wirklich nicht?

Harms: Nein, denn wir waren ja schon vorher eine gestandene Band. Bereits vor dem Contest hatten wir ein Nummer-eins-Album. Und zwei Wochen später gingen wir wieder mit Iron Maiden auf Tour. Wir waren weder schockiert noch traurig.

ESC-Sänger Harms kritisiert Boulevardpresse

Ein Vergnügen kann es trotzdem nicht gewesen sein.

Harms: Anstrengend war nur eines: Ab einem bestimmten Moment in der Show wussten wir, dass wir Letzter waren, aber wir mussten noch eine halbe Stunde lang da sitzen. Vor uns standen die deutschen Fotografen, maßgeblich von der Boulevard-Presse, die versuchten, wie Bluthunde die Gesichter der Verzweiflung einzufangen. Du musst nur einmal niesen, und schon haben sie ihr trauriges Grimassen-Foto, das sie den Meckerdeutschen der Boulevardpresse geben können. Das nervt natürlich, aber das ist nach einem Tag dann auch wieder egal.

Sie treten am Vorabend der großen Show am Austragungsort Malmö auf. Das ist trotz allem ein ungewöhnlicher Plan.

Harms: Die ESC-Community hat uns sehr viel Zuneigung und Offenheit entgegengebracht. Das ist eine bestimmte Sorte von Fans, die mit allen Künstlern mitfiebern. Von dieser Liebe möchten wir etwas zurückgeben, deshalb haben wir diesen Auftritt geplant. Wir wollen von jetzt an am Vorabend jedes Finales am jeweiligen Austragungsort auftreten, wenn das terminlich und von der Distanz her möglich ist. Das heißt, wir holen uns das Lebensgefühl ESC jährlich zurück und machen eine Tradition daraus. Einmal ESC, immer ESC.