Berlin. Zwölf Monate verrottete die Leiche des Einsiedlers Guthlac nicht. Auf seinen Spuren fanden Archäologen nun eine alte Ritualstätte.

Das Leben eines Heiligen aus dem frühen Mittelalter führte Archäologen zu einem viel älteren, verborgenen Geheimnis. Im Osten Englands suchten Forscher der Universität Newcastle nach den Spuren von Sankt Guthlac, einem Einsiedler aus dem 7. und 8. Jahrhundert. Doch anstatt die Behausung des zurückgezogenen Gläubigen zu finden, stießen sie auf die Fundamente eines rituellen Erdwerks aus der frühen Bronzezeit.

Tausende Jahre vor Guthlac legten dort Menschen konzentrische Kreise an, die wohl Schauplatz von Zeremonien und Ritualen waren. Ein Statement der Uni Newcastle bezeichnet das Erdwerk als „Henge“. Dabei handelt es sich um ein kreisförmiges Erdwerk, das bisher fast nur auf den britischen Inseln entdeckt wurde. Der Begriff ist dem legendären Stonehenge-Monument entnommen, das ebenfalls in konzentrischen Kreisen angelegt ist. Bei der nun entdeckten Henge in der Grafschaft Lincolnshire soll es sich um eines der größten Exemplare im Osten Englands handeln.

Wunder-Mönch: Zwölf Monate lang verweste Guthlac‘s Leiche nicht

Guthlac wuchs im angelsächsischen England als Sohn eines wohlhabenden Adeligen auf. Schon im jungen Alter entsagte er den Reichtümern seiner Familie und beschloss, Mönch zu werden. Nach zwei Jahren in einem Kloster begann er ein Leben als Einsiedler. Bei Einsiedlern handelt es sich historisch gesehen um tief religiöse Christen, die in der Einsamkeit und im Gebet versuchen, Gott möglichst nahe zu sein. Die oftmals spärliche Behausung eines Einsiedlers nennt man Einsiedelei.

Als Guthlac im Jahr 713 starb, wies sein Körper noch nach zwölf Monaten keine Spuren der Verwesung auf, heißt es in der Legende. Von da an verehrte ihn eine kleine Klostergemeinde als den Heiligen Sankt Guthlac. An der ungefähren Stelle seiner Behausung entstand im 10. Jahrhundert eine Abtei, deren Ruinen im Städtchen Crowland bis heute zu sehen sind. Hier suchten die Archäologen des „The Anchor Church Field Project“ nach den Spuren der Einsiedelei von Sankt Guthlac.

Die stattdessen gefundenen Fundamente stammen aus dem späten Neolithikum oder der frühen Bronzezeit (2900 bis 1400 v. Chr.) – Tausende Jahre vor Guthlac. Die Geschichte des Ortes war damit viel komplexer und älter als bisher gedacht.

Lesen Sie auch:Mann gewinnt Metalldetektor – und macht Fund seines Lebens

Archäologie: Nutzte der Einsiedler das Tausende Jahre alte Bauwerk als Unterschlupf?

Die Henge müsse aufgrund ihrer außergewöhnlichen Größe und Lage ein bedeutender Ort der Region gewesen sein, heißt es im Statement. Vor Ort fanden wahrscheinlich Rituale und Zeremonien der frühen Bewohner Britanniens statt. Zu dieser Zeit war der Fundort nahe der Stadt Crowland eine Halbinsel, die von drei Seiten durch Wasser begrenzt war. Die Henge muss an der erhöhten Stelle deshalb besonders gut erkennbar gewesen sein.

Später, im frühen Mittelalter, musste die seit Jahrhunderten verlassene Henge immer noch sichtbar gewesen sein. Den historischen Überlieferungen zufolge baute sich Guthlac seine Einsiedelei auf den Überresten eines geplünderten Grabhügels auf. Dabei könnte es sich nach den Erkenntnissen der jüngsten Ausgrabungen um die Henge gehandelt haben, die für den Einsiedler perfekte Fundamente gebildet hätte.

Lesen Sie auch: Schatzsucher machen spektakuläre Entdeckung im Lago Maggiore

Crowland war über Jahrtausende heiliger Ort für Menschen

Diese Vermutung bestätigen Fundstücke der Grabung. Ungefähr zu Lebzeiten von Guthlac sei die Henge wieder von den Menschen genutzt worden. So haben die Archäologen bei Ausgrabungen Keramik, zwei Knochenkämme und Glasscherben eines Trinkgefäßes entdeckt. Spätere Aktivitäten haben nur leider viele Überreste aus der angelsächsischen Epoche vernichtet.

Kämmte sich Guthlac mit diesem Knochenkamm die Haare?
Kämmte sich Guthlac mit diesem Knochenkamm die Haare? © The Anchor Church Field Project

„Wir wissen, dass viele prähistorische Monumente von den Angelsachsen wiederverwendet wurde“, zitiert das Statement Dr. Duncan Wright, einen Dozenten der mittelalterlichen Archäologie an der Newcastle University. Eine Henge zu finden, die zuvor unbekannt war und jetzt auf diese Weise genutzt wurde, sei allerdings sehr selten, so Wright. Die angelsächsischen Spuren können Guthlac nicht mit völliger Sicherheit zugeschrieben werden. Trotzdem sei die Wiedernutzung der Stätte ein Beweis dafür, dass Crowland über Jahrtausende ein heiliger Ort für die Menschen war.

Auch spannend: Antiker Aberglaube – Sekten-Schriftrolle erstaunt Archäologen